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Lea

REZENSION: ASCHEHONIG VON BEATRICE JACOBY


Wer auch immer behauptet, Bienen seien doch nur so ein paar Insekten, wird von Giselle einen mörderischen Blick kassieren. Giselle lebt in einem Zeitalter, in dem die Wildbienen ausgestorben sind. Die Bestäubung der Pflanzen erfolgt durch wenige, recht anfällige kultivierte Bienen und Bienendrohnen. Als eine echte Wildbiene auftaucht, wird Giselles Weltbild auf den Kopf gestellt. Plötzlich hat sie etwas, was sie schon verloren geglaubt hat: Hoffnung. Sie macht sich also auf die Suche nach den Wildbienen und reist dafür zum gefährlichsten Ort in Zentraleuropae.

 

Nachdem ich nun das zweite Buch von „Impress“ gelesen habe, war es Zeit, mich darüber zu informieren, wofür der Verlag eigentlich steht. Tatsächlich ist es eine Sparte des Carlsen-Verlags und darunter werden fantastische Liebesgeschichten veröffentlich. „Aschehonig“ ist ein Urban Fantasy Roman mit futuristischen Elementen, dessen Fokus nicht nur auf der Liebe, sondern auch – ihr könnt es nach der Einleitung bereits erahnen - auf dem Umweltschutz liegt. Das Buch ist mir vor allem durch sein außergewöhnliches Format ins Auge gestochen. Es ist bloß einen Zentimeter breiter, als ich es von anderen Büchern gewohnt bin, doch dadurch hat es eine ganz andere Erscheinung.


Bereits nach den ersten Sätzen von Beatrice Jacoby ist mir etwas aufgefallen. Normalerweise notiere ich mir meine Gedanken sofort nebenbei, damit ich nicht vergesse, was ich euch hier über das Buch berichten möchte, doch ich hatte bei „Aschehonig“ eine Schwierigkeit, die ich zunächst nicht benennen konnte. Es dauerte ein paar Seiten, bis mir bewusst wurde, worüber ich mir den Kopf zerbrach. Beatrice Jacoby schafft es, mir als Leserin zwischen den Zeilen und Worten so viel Stimmung, Andeutungen und Schwingungen mitzugeben, die ich zu Beginn noch nicht richtig deuten kann. Erst als ich mich ein wenig eingefunden hatte, konnte ich die Atmosphäre tatsächlich greifen und dann auch in Worte fassen. Doch genau dieses Gefühl für die Geschichte und die Beziehungen der Charaktere untereinander macht das Buch zu etwas ganz Besonderen.


Ausgangspunkt für Beatrice Jacobys „Aschehonig“ ist Mutter Natur, die plötzlich lebendig wird und sich gegen den Menschen und seine Auswirkungen wehrt. Sie verschlingt eine große Stadt, verwandelt Menschen in Bäume und breitet sich rasend schnell aus. Um den Wald einzudämmen wird eine Spiegelmauer errichtet. Giselles Geschichte beginnt jedoch erst an dem Tag, an dem einige ihrer Bienenstöcke in der Nähe der Spiegelmauer abbrennen. Zufällig entdeckt sie dort eine echte, angeblich ausgestorbene Wildbiene. Die Vermutung liegt nahe, dass sie von der anderen Seite der Spiegelmauer kommt und als ein Freund Giselle einen Riss in der Mauer zeigt, entschließt sie sich, in den tödlichen Wald zu gehen und die Bienen, die letzte Hoffnung der Menschheit, zu finden.


ALLGEMEIN.

„Aschehonig“ ist aus der Perspektive von vier verschiedenen Personen geschrieben: Giselle (Hauptfigur), Poppy, Alexej und Till. Dadurch erhielt ich gute Einblicke in die jeweiligen Gefühlswelten und konnte die verschiedenen Stränge der Geschichte weiterhin begleiten, als die Gruppe schließlich wenig überraschend getrennt wurde. Sehr interessant waren auch die unterschiedlichen Blickwinkel, die immer wieder dazu führten, dass Aktionen und Reaktionen von den Personen verschieden wahrgenommen wurden. Hier zwei Beispiele: Giselle schenkt ihrer Freundin einen von Bienen bestäubten Apfel. Die Freundin versteckt diesen vor Giselles Adoptivmutter, weil sie ein schlechtes Gewissen hat, dass sie die ganzen gesunden Nährstoffe erhält. Die Adoptivmutter jedoch freut sich, dass sie sich nun nicht mehr allein um die Gesundheit der Freunde und Bekannten kümmern muss. Die beiden Frauen reden nie darüber, wie sie die Situation wahrnehmen. Genauso denkt Alexej, dass Giselle ihn nicht mag, denn sie meidet stets seinen Blick. Stattdessen hat Giselle Angst, dass ihr Blick ihm verraten könnte, wie sehr sie ihn mag und schaut ihn daher niemals direkt an. Das ist ein schöner Stoff, auf dem Missverständnisse aufgebaut sind, die ich als Leserin aber nur sofort identifizieren kann, weil ich die Geschichte aus verschiedenen Perspektiven erkunde.


Eine zweite Besonderheit in „Aschehonig“ ist die Verwendung von französischen und ukrainischen Worten und Phrasen. Ich selbst beherrsche weder die eine, noch die andere Sprache. Tatsächlich hebt ihre Verwendung die Charakterzüge der entsprechenden Personen weiter hervor und auch wenn ich keine kyrillischen Schriftzeichen lesen kann, war es für mich kein Hindernis, denn Beatrice Jacoby hat immer alles sofort erläutert.


AUFBAU DER WELT.

„Aschehonig“ beginnt mit einem Prolog, der mir den Unterkiefer herunterfallen und meine Augenbrauen in Höhe springen ließ. Mein erster Gedanke danach war nicht anders als: „What the f**k?“ Ein Samenkorn setzt sich im Asphalt fest und wächst rasend schnell in den Himmel. Wenige Minuten später ist die Blüte dieser Pflanze bereits herangereift und spuckt ihre Pollen in die Luft. Die Menschen atmen diese Pollen ein und sobald diese die Schleimhäute berühren, sprießen Sprossen aus den menschlichen Körpern, sodass sich eine Stadt innerhalb weniger Stunden in einen wilden, lebensgefährlichen Wald verwandelt. Das ist der Beginn der Waldpocken. Wie bereits beschrieben ist diese Krankheit eine Reaktion der Mutter Natur auf jahrhundertelange Rodungen, Ausbeutung und Zerstörung. Giselle greift diese Situation später wie folgt auf, als sie eine Karte genauer betrachtet:


„Während mein Finger über Vorstadtgebiete wischte, die es nicht mehr gab, setzte mein Herz für eine Millisekunde aus. Jeder farbige Quadratzentimeter stand für hunderte, tausende geflüchteter oder getöteter Menschen. Zerstörte Leben, zerrissene Familien.“ (S. 90)


Daraufhin bauen die übrig gebliebenen Menschen eine Mauer um den Wald herum, damit der Wald, der nicht zerstört werden kann, sich wenigstens nicht weiter ausbreitet. Der Plan funktioniert, doch außerhalb der Spiegelmauer geraten die Menschen zunehmend an die Grenzen des Ökosystems. Die Bienen sind beinahe ausgestorben und nur noch wenige gezüchtete Bienenvölker existieren und können die Obstplantagen bestäuben. Die Hauptarbeit wird inzwischen von Bienendrohnen (nicht die männlichen Bienen, sondern winzige elektronische Drohnen) übernommen. Tatsächlich sind Obst- und Gemüsesorten, die befruchtet werden müssen, zu Luxusgütern geworden, welche jedoch für die Gesundheit eigentlich unverzichtbar sind. Die gezüchteten Pflanzen und Bienen sind allerdings sehr anfällig, sodass die Entdeckung echter Wildbienen ein Ende des Nahrungsmittelmangels bedeuten könnte. Die Hauptfigur Giselle ist Bienenhüterin, kümmert sich liebevoll um die letzten Nachkommen der Bienen und kämpft um deren Überleben.


Der Wald, der so plötzlich ein Eigenleben entwickelte, hat sich nach zwanzig Jahren einigermaßen beruhigt. Er möchte gerne wieder in Einklang mit den Menschen leben und versucht über die Tiere im Wald, Kontakt mit einigen Menschen aufzubauen und sie „nach Hause“ zu holen. Die Menschen werden in einen Bann gezogen, der sie immer wieder zum Wald zurückführt.


Giselles Geschichte spielt in der Zukunft und so gibt es einige futuristische Neuerungen, die ich euch nicht vorenthalten möchte. Handys gibt es nicht mehr, stattdessen besitzt Giselle das Kommunikationssystem Com2050 (vermutlich schreiben wir in dem Buch das Jahr 2050), das wie ein Hörgerät um ihr Ohr liegt. Mit diesem Gerät kann Giselle nicht nur telefonieren, sondern auch „Sleeplearning“ durchführen. Wie der Name schon verrät, handelt es sich hierbei um eine Art Lernprogramm, das mir vorgelesen wird, bevor ich einschlafe. Natürlich hält mich nichts davon ab, das Wissen auch tagsüber zu konsumieren. Neben den Bienendrohnen und horizontalen Gemüsebeeten an Gebäuden sind mir beim Lesen jedoch keine weiteren Innovationen ins Auge gefallen.


PERSONEN UND BEZIEHUNGEN.

Die Charaktere in „Aschehonig“ sind sehr stark ausgeprägt und faszinierend zugleich. Ich konnte mich nicht mit allen identifizieren, aber es war schön, die verschiedenen Entwicklungen hautnah mitzuerleben.


Giselle wurde als Baby in der Nähe des Sperrgebietes am Waldpocken-Denkmal gefunden und wuchs dann in einem Kinderheim auf. In diesem Heim wurde Giselle, die eher kränklich war, immer mit dem Raufbold Till zusammengesteckt. Die beiden waren die einzigen, die sich gegenseitig dauerhaft aushielten, sodass Giselle in ihm nun ihren großen Bruder sieht. Mit zwölf Jahren wird Giselle von einer Bienenfanatikerin adoptiert und die beiden bauen bis zum Zeitpunkt des Buches (Giselle ist hier 19 Jahre alt) eine sehr schöne Mutter-Kind-Beziehung zueinander auf. Obwohl ihre Adoptivmutter nicht viel von Till hält, erlaubt sie ihm und seinem Freund Alexej im selben Haus zu wohnen, damit sich Gisellle und er immer noch nah sein können.


Till ist Giselles bester Freund, aber im Gegensatz zu Giselle würde er gerne mehr als nur Freundschaft zwischen sich und ihr haben. Tatsächlich geht er so weit, sie heimlich zu beobachten (echt gruselig!) und lügt sie an, indem er behauptet, er würde nicht mehr rauchen. Till verschweigt ihr außerdem, dass er aus Versehen den Brand bei den Obstplantagen gelegt und somit Giselles Bienen getötet hat. Generell ist Till sehr redefaul, doch bereits am Anfang wird darauf hingewiesen, dass er im betrunkenen Zustand ruppig und redselig sein kann. Von dem Punkt an war klar, dass Till zu irgendeinem Zeitpunkt betrunken etwas richtig Dummes anstellen würde. Till und Giselle haben die liebevolle Tradition, dass Giselle ihn immer mit alt hergebrachten Mittelnamen aufzieht, so heißt Till an einer Stelle des Buches z.B. Tillmann Theodor Grimm. Es ist ein unwichtiges Detail, verdeutlicht jedoch die außergewöhnlich enge Beziehung zwischen den beiden.


Alexej ist der Charakter, zu dem ich die schlechteste Verbindung aufbauen kann. Er kommt aus der Ukraine und war wohl früher einmal Balletttänzer, bis ihm eine Knie-OP diesen Traum nahm. Danach hat sich Alexej der Malerei zugewandt und malt nun am liebsten Poppy – nackt und in sämtlichen Stellungen. Er selbst ist von seiner Arbeit wenig überzeugt. Er ist der Meinung, dass er nur dann ein ausgezeichneter Maler werden kann, wenn er etwas verloren hat. Tatsächlich ist seine Sehnsucht derart stark, dass allein diese Sehnsucht meines Erachtens ausreichen könnte, um seine Kreativität zu entfesseln. Stattdessen suhlt er sich fortwährend in Selbstmitleid. Erst nach der Hälfte des Buches, als er erkennt, dass er womöglich mehr verlieren könnte, als er bereit war, zu geben, wacht er endlich auf und ist weniger theatralisch. Erst dann kann ich als Leserin tatsächlich etwas mit ihm anfangen. Davor ist es mir ein Rätsel, weshalb Giselle ausgerechnet auf ihn steht.


Poppy (Philomena) ist Giselles beste Freundin, Alexejs Muse und himmelt heimlich Till an. Wie ihr seht, ist das ganze ein Kreis, in dem alle in jemanden oder eine verliebt sind, die sie nicht haben können. Poppy ist sehr sprunghaft, definiert sich jedes halbe Jahr neu und ist derzeit Feuerwehrfrau.


Bastian ist Poppys Kollege bei der Feuerwehr, hat ein Auge auf diese geworfen und der Wald hat ihn zu sich gerufen. Die Bienen haben ihn auserwählt und sprechen zu ihm, doch er dreht durch. Anstatt dem Wald zu helfen, beginnt er sich gegen ihn zu wenden und sämtliche Bienenvölker, u.a. auch Giselles, niederzubrennen.


HIER MEINE BUCH-EINSCHÄTZUNG.

Giselles Geschichte ist eindringlich geschrieben und verdeutlicht einmal mehr, wie wichtig Klima- und Artenschutz sind. Das Ende ließ mich recht frustriert zurück und ich begann einmal mehr, mir Gedanken darüber zu machen, welchen Beitrag ich zu diesen wichtigen Themen bereits leiste und was ich noch tun kann. Dabei bewundere ich Giselles Mut, ihr Leben für den Schutz und die Erforschung der Wildbienen in Gefahr zu bringen. Somit weiß ich jede Biene, die um uns herumschwirrt noch mehr zu schätzen, genau wie die leckeren Früchte, die nicht nur saftig lecker, sondern auch gesund sind und die wir derzeit noch in großen Mengen genießen können.


  • Genre: Romantasy, Science Fiction, Abenteuer

  • Zielgruppe: alle Geschlechter, 14-30 Jahre

  • Spannung: 4 von 5 Sterne

  • Spaß: 4 von 5 Sterne (Es macht Spaß, das Buch zu lesen, doch lustig ist es nicht. Stattdessen regt es zum Nachdenken an.)

  • Charaktere: Sehr gut definiert. Alle Charaktere haben ihre eigenen starken Charakterzüge. Die Geschichte kommt mit wenigen Personen gut aus, wodurch auch die Entwicklung dieser sehr schön zur Geltung kommt. Da die Perspektiven kapitelweise wechseln, habe ich als Leserin die Möglichkeit, alle bis ins Detail kennenzulernen.

  • Leseempfehlung: Beatrice Jacoby erschafft eine einmalige Atmosphäre. Sie verknüpft die großen und emotionalen Themen Liebe und Umweltschutz miteinander und regt wie erwähnt zur Selbstreflexion an. Wen das Thema Bienen interessiert, sollte an diesem Buch nicht einfach vorbeigehen, denn in Giselle findet ihr eine wahre Seelenverwandte. Ihr werdet auf jeden Fall mit ihr mitleiden und mitfiebern.


INHALT DES BUCHES – ACHTUNG SPOILER!

Wer noch mehr über meine Meinung und Einblicke in „Aschehonig“ wissen möchte, ist hier genau richtig. Ich werde jedoch das ein oder andere Detail ausplaudern, das mir während des Lesens der Geschichte in den Sinn gekommen ist 😉.


Ohne, dass ich es zunächst bemerkt habe, beginnt das erste Kapitel nach dem Prolog mit einigen wenigen Absätzen, aus dem Ende des Buches. Der einleitende Abschnitt ist mit einer schönen Du-Ansprache geschrieben, was mich als Leserin sofort einbezieht. Beatrice Jacoby fordert mich also gleich zu Beginn auf, mit- und nachzudenken. Dieser erste Abschnitt schließt, wie das letzte Kapitel mit dem Summen der Bienen. Tatsächlich ist mir dieser Rahmen jedoch erst beim Schreiben dieses Artikels bewusst geworden. Nichtsdestotrotz freue ich mich immer über solche Kleinigkeiten.


Erst nach diesem Abschnitt steigt Beatrice Jacoby richtig in die Geschichte ein. Giselles Bienenstöcke waren in Flammen geraten und sie ist am Boden zerstört, denn die Bienen sind ihr ebenso wichtig wie geliebte Menschen.


„Und nun? Nun kniete ich neben dem zusammengekehrten Haufen ihrer grau bestäubten Leichen.“ (S. 9)


Noch weiß Giselle nicht, dass ihr bester Freund Till sie bei der Pflege der Bienen heimlich beobachtet hat. Er hatte dabei eine Zigarette geraucht und sie achtlos weggeworfen, wodurch ein Brand entstand, der einen Teil der Plantage und Giselles Bienenvölker niederbrannte. Till wiederum wurde von Bastian beobachtet, der zufälligerweise in der Nähe war, da er immer wieder von den echten Bienen durch einen Riss in der Mauer in den Wald gelockt wird.


Während Giselle nun ihren Bienen die letzte Ehre erweisen will, entdeckt sie eine echte, schwarze Wildbiene, fängt sie ein und bringt sie nach Hause, um sie ihrer Adoptivmutter und ihren Freunden zu zeigen. Während alle auf die Biene im Einmachglas starren, wird Poppy plötzlich von der Biene wie magisch in ihren Bann gezogen und als Giselle nicht hinsieht, ist die Biene befreit und Alexej hat sie aus Versehen erschlagen. Damit geht die Hoffnung, die Biene weiter untersuchen zu können und durch sie den Heimatstock zu finden zunichte. Giselle ist augenblicklich besessen von der Idee, die wilden Bienen im Sperrgebiet hinter de Mauer zu finden, diese dann zu erforschen und zu pflegen.


In der darauffolgenden Nacht fängt plötzlich das Nachbarhaus Feuer. Auch dort waren zwei Bienenvölker stationiert und sind nun durch die Flammen zerstört worden. Da Giselle unglaublich geknickt ist, entschuldigt sich Alexej bei Giselle dafür, dass er die Biene getötet hat, und als Entschuldigung darf sie sich eines seiner Bilder aussuchen. Sie wählt eines, dass sich als Abbild der Spiegelmauer entpuppt, in der sich ein großer Riss befindet. Als Alexej Giselle beichtet, dass er den Ort kenne, an dem sich der Riss in der Mauer befindet, verlangt Giselle von ihm, dorthin gebracht zu werden. Nachdem ich den Prolog mit der Monsterpflanze gelesen habe, frage ich mich hier, weshalb ein Riss in der Mauer, durch den ein Mensch dringen kann, nicht extrem gefährlich für die Menschen in Zentraleuropae ist. Die Pflanzensamen hatten sich innerhalb von Minuten ausgebreitet, weshalb sollte nicht auch ein Samen durch diesen doch recht großen Riss gelangen und die Welt weiter einnehmen? Die Erklärung findet sich natürlich später, als rauskommt, dass der Wald nicht einfach alle töten möchte. Vielmehr nutzt er diesen Riss, um Menschen zu sich zu locken. Als Bewohnerin Zentraleuropaes hätte ich es jedoch bei diesem riesigen Loch in der Mauer ordentlich mit der Angst zu tun bekommen.


Sobald Giselle den Riss sieht, schlüpft sie auf die andere Seite der Mauer. Dort entdeckt sie einen Hirsch, der sie sofort in ihren Bann zieht und mit ihr spricht. Als ich an dieser Stelle zum ersten Mal von dem Bann lese, muss ich sofort an eine neue Art der Seuche denken, die die Menschen in ihren Bann zieht und in ihr Verderben stößt (ähnlich wie im Film The Happening, 2008). Glücklicherweise war diese Assoziation vollkommen falsch. Giselle ist also im Wald, hält Blickkontakt mit dem Hirsch und vor Aufregung, bricht plötzlich ihr Kreislauf zusammen, sodass Alexej sie umgehend nach Hause bringt.


„So behutsam wie möglich, so grob wie nötig. Ich schaute ihm dabei von den Baumwipfeln aus zu, glaubte ich.“ (S.63)


Till findet am nächsten Tag im niedergebrannten Nachbarhaus eine geschmolzene Feuerwehrmarke, sodass er mit Poppy herausfinden will, ob jemand von der Feuerwehr den Brand gelegt hat. Während die beiden die Spinde durchsuchen, wird auf einmal ihr Beweisstück gestohlen. Poppy und Till verfolgen den Brandstifter bis zum Riss in der Mauer, sodass sie die Verfolgung abbrechen. Woher Bastian, der Dieb, wusste, dass Till und Poppy die geschmolzene Feuerwehrmarke gefunden haben, ist mir unklar.


Nun, da Giselle weiß, dass sie auf die andere Seite der Mauer gelangen kann, hält sie nichts mehr auf. Zum ersten Mal in ihrem Leben gerät sie mit ihrer Adoptivmutter, der sie sonst immer gefallen möchte, in einen Streit.


„All die Sorgenfalten auf ihrer jugendlichen Stirn, um die sie unsere Nachbarinnen beneideten, versetzten mir einen Stich. Dennoch durfte ich nicht unter dem emotionalen Druck brechen, den sie – nur zu meinem Besten – aufbaute. Dieses Vorhaben war größer als sie, als ich. Als irgendwer. Es ging um die Bienen, um die Zukunft.“ (S. 81)


Gemeinsam mit ihren drei Freunden plant Giselle nun die Reise durch den Wald und die Suche nach den Wildbienen. Kaum haben sie die Mauer – bepackt mit Atemschutzmasken, Krankheitstests und medizinischer Ausrüstung – passiert, versinken die vier beinahe in einem Sumpf. Mit letzter Kraft können sie sich retten, verlieren jedoch einen Großteil ihrer Ausrüstung. Als sie zurück auf die andere Seite der Mauer fliehen wollen, lässt der Wald den Riss zuwachsen. Der Wald wird nach zwanzig Jahren plötzlich wieder aktiv. Trotz der Panik der anderen lässt Alexej augenblicklich seine Atemschutzmaske fallen und spricht auf Giselles panischen Ausruf hin aus, was ich denke:


„Wenn der Wald uns töten wollte, würde er es tun.“ (S. 102)


Auch wenn der Wald sie am Leben lässt, stört er die Telefonsignale, sodass die vier jungen Erwachsenen keine Hilfe rufen können. Weshalb ausgerechnet das Sleeplearning-Programm kurz zuvor noch funktioniert hat, ist mir unklar, denn der Wald wollte ja schon seit sie eingetreten sind, dass niemand mehr zurückkehren kann. Wenn ich der Wald gewesen wäre, hätte ich von Anfang an, den Zugang versperrt und das Signal unterbunden. Nichtsdestotrotz bin ich ganz Alexejs Meinung, dass der tödliche Wald andere Pläne für sie hat.


Till bemerkt bei einer Pause, dass sie verfolgt werden. Er geht auf die Person zu und erkennt Bastian, den Brandstifter. Dieser gibt zu, dass er Till gesehen hat, wie er den ersten Brand gelegt hat, und die beiden machen einen Deal: Till soll Bastian mit Nahrung versorgen und aus dem Wald holen, während Bastian nichts über Tills Rolle beim ersten Brand verlauten lässt.


Giselle, Poppy, Alexej und Till begegnen auf ihrer Reise stechenden Schmetterlingen. Tatsächlich sind die ein oder anderen Tiere im Wald zu gefährlichen Monstern mutiert – nur der Hirsch vom Anfang und die Bienen scheinen auf wundersame Weise verschont geblieben zu sein. Die Vier können sich gerade noch so aus der Reichweite der Schmetterlinge retten und erreichen kurz darauf ein altes Bahnhofsgebäude, in dem bereits vor ihnen jemand genächtigt hatte. Sie finden ein altes, verlassenes Lager und eine überholte Technik. Als sie die Speicherkarte auslesen, finden sie unzählige Videos, die bereits zwanzig Jahre alt sind.


Vor zwanzig Jahren hatte sich eine Gruppe Überlebender zusammengefunden, und Hilferufe per Video aufgezeichnet. Die Gruppe bestand aus mehreren Leuten und im Verlauf der Zeit war ihnen der Kampf gegen den Wald und untereinander deutlich anzusehen. Eine Frau namens Anna schien mit der Zeit den Verstand zu verlieren und den anderen Angst einzujagen, indem sie nachts im Schlaf sprach und irgendwie mit der Natur kommunizierte. Der Gruppe setzte zunehmend die Angst, die Aussichtslosigkeit und der ständige Kampf zu, sodass immer mehr Personen der Gruppe verschwanden oder starben. Giselle, Till, Alexej und Poppy schauen die Videos nur lückenhaft an, sodass mir sofort klar war, dass sie noch weitere wertvolle Information liefern würden, sobald sie die Videos aufmerksam und vollständig prüfen würden. Außerdem hatte ich augenblicklich das Gefühl, dass auf den Videos Giselles Eltern zu sehen sein mussten. Tatsächlich bewahrheitete sich das im Verlauf der Geschichte: Anna war Giselles Mutter und die erste, die von Mutter Natur ausgewählt wurde, um im Wald zurückzubleiben und dort zu leben. Kurz nach ihrer Geburt wurde Giselle aus dem Sperrgebiet gebracht, das von der Spiegelmauer umgeben ist. Am Waldpocken-Denkmal wurde sie schließlich gefunden und in ein Heim gebracht.


In den folgenden Kapiteln sind die Reaktionen und das Verarbeiten der Videos sehr schön aus jeder Perspektive beschrieben. Alle haben ihre eigene Art und Weise, mit den neuen Informationen und ihrer Verzweiflung umzugehen. Das ist auch der Moment, in dem Alexej endlich nahbar wird.


„Die kühle, feuchte Wand, gegen die ich mich nach dem Aufstehen lehnte, war eine willkommene Abwechslung. Durch sie fühlte ich mich noch überhitzter, aber gehalten. Die Mauer war hart und unnachgiebig. Ich konnte sie greifen. Anders als die wabernde Mischung aus Angst, Gewissensbissen, Heimweh, Trotz und die verbliebene Hoffnung in mir.“ (S. 141)


In der Nacht schleichen plötzlich Wölfe durch den Wald. Giselle hört den Hirsch um Hilfe flehen und geht zu ihm, um ihn zu retten. Alexej kommt hinzu und gemeinsam rennen sie um ihr Überleben. Indem sie in einen Fluss springen, können sie den Wölfen entrinnen, die sich augenblicklich in Richtung Bahnhofsgebäude wenden, wo Till und Poppy sich verstecken. Auch die beiden können überleben, indem sie auf einen Baum klettern.


„Es mochte bloß eine Frisur sein, aber sie schenkte mir die Illusion von Ordnung und Kontrolle. Wenn ich aussah, wie eine gut sortierte Giselle, die alles im Griff hatte, glaubte ich eher daran, diese Person auch zu sein.“ (S. 161)


Nachdem Giselle sich wieder beruhigt hat, versuchen sie und Alexej zurückzukehren und kommen sich dabei näher, sodass Giselle ihm von ihrer Herkunft erzählt, die ein Mitgrund für ihre Expedition in den Wald gewesen war. Als sie wieder in Kontakt mit dem Hirsch tritt, der sie „Tochter von Eisen und Rauch“ (Menschenkind) nennt, beginnt sie zu verstehen, was die Natur von ihr will. Mutter Natur, hasst die Menschen nicht, sondern will sie zurückholen – allerdings unter der Bedingung, dass sie die Natur schützen und respektieren, damit sie gleichzeitig existieren können.


Zeitgleich beobachtet Poppy am Bahnhofsgebäude, wie sich Till mit dem Brandstifter Bastian trifft. Sie wird von Bastian entdeckt, der sie in den Wald verfolgt und sich an ihr vergreifen möchte. In ihrer Panik bittet sie den Wald, ihr zu helfen, und die Bienen strömen zu ihr, umschwirren Bastians Kopf, bis dieser zurücktaumelt, über einen Abgrund fällt und stirbt. Panisch, weil sie sich schuldig für Bastians Tod fühlt, beschließt sie, niemanden das Versteck der Wildbienen zu zeigen, denn so würden alle Besucher unweigerlich auch Bastians Leiche sehen und sie eines Mordes beschuldigen.


Aus diesem Grund manipuliert Poppy die Suche nach den Wildbienen, sobald die kleine Gruppe wieder zusammengefunden hat. Die übrigen drei Freunde befürchten nun, dass nicht nur der Wald gegen sie ist, sondern auch die wilden Tiere und die verrückte Anna, die vielleicht die letzten zwanzig Jahre überlebt hat. Zunehmend müssen sie erkennen, dass ihr Vorhaben zum Scheitern verurteilt ist.


„Wir Idioten. Wir verdammten, naiven Traumtänzer.“ (S. 216)

„Autos. Zivilisation. Sicherheit. Wunschträume.“ (S. 224)


Giselle fasst heimlich den Plan, ihre Freunde aus dem Wald zu bringen und danach der Natur zu helfen. Kurz darauf entlarvt sie Poppy, die ihre Wegmarkierungen fälscht, was sie zuvor fälschlicherweise der verrückten Anna zugeschrieben hatten. Poppy berichtet, was geschehen war und gemeinsam mit der Natur beschließen sie, Bastian zu bergen und in einem See zu verbrennen.


„Wortlos sah ich den Ascheflocken dabei zu, wie sie gemeinsam mit dem Rauch aufstiegen. Als grauer, warmer Schnee rieselten sie auf die Gräser und zarten Blumen jenseits des Sees, dem Sog des Windes hinterher. Ich stellte mir vor, wie die Bienen die Asche eifrig beim Pollensammeln mit in ihre Taschen packten. Wie sie sich bald über die seltsame Farbe des daraus entstehenden Honigs wunderten. Wie sie im Winter kosteten und der fahle Geschmack von Asche ihnen Schwindel bereitete.“ (S.257)


Till muss nun einsehen, dass er bei Giselle keine Chance hat. Er betrinkt sich in Bastians Lager und legt aus Versehen ein Feuer. Das erzürnt die Natur so sehr, dass sie aus der Mauer ausbricht und die Menschheit zerstören möchte. Giselle kann in letzter Sekunde dazwischengehen und ihr eine Gnadenfrist von einem Jahr abringen. Innerhalb eines Jahres muss die Menschheit nun beweisen, dass sie es wert ist, existieren zu dürfen.


Dieses Ende lässt mich sprachlos zurück und ich muss mit Bitterkeit daran denken, wie wenig wir in Deutschland das letzte Jahr gegen den Klimawandel getan haben. Während die einen vehement seine Existenz leugnen, schaut die Mehrheit der Menschen einfach nur zu, wie die Zeit verstreicht. Wären wir Teil des Buches, würde uns Mutter Natur ohne mit der Wimper zu zucken ausradieren. Außerdem war überraschend, wie wütend Mutter Natur wegen des Feuers wurde, das Till aus Versehen gelegt hat. Wie Alligatoah sang: „Die Menschen sind nicht böse. Die Menschen sind nur dumm.“ (Musik ist keine Lösung, 2015). Wie sollen wir auch noch Dinge verhindern, die durch Dummheit oder Unachtsamkeit und ohne Absicht geschehen?


Nach Beatrice Jacobys Geschichte fühle ich wieder einmal die frustrierende Hilflosigkeit und ich würde genau wie Giselle Mutter Natur anflehen, uns noch Zeit zu geben. Gleichzeitig weiß ich doch, dass ein Jahr hier in Deutschland niemals ausreichend wäre, um zu beweisen, dass wir uns um sie sorgen. Trotz dieser negativen Stimmung, die mich nun erfüllt, bedanke ich mich sehr herzlich für dieses spannende Abenteuer.

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