top of page
  • Lea

REZENSION: CLEANLAND VON MARTIN SCHÄUBLE


Buch Cover "Cleanland" von Martin Schäuble

Schilos Leben ist von absoluter Reinheit geprägt. Sie darf sich nur mit einer einzigen Person treffen, trägt immer einen Ganzkörper-Schutzanzug sowie einen Gesichtsschutz. Beziehungen zu anderen Menschen aufzubauen ist da gar nicht mal so leicht – vor allem, da sie sich in jemanden verliebt, der nicht als genetisch passender Partner für sie im System hinterlegt ist.

 

Cleanland ist ein Science-Fiction-Roman von Martin Schäuble und somit der erste Roman, den ich von einem Autor rezensiere. Warum betone ich das so? Beim Lesen ist mir aufgefallen, dass Martin darauf verzichtet, innere körperliche Reaktionen zu beschreiben. Ein Herz klopft nicht schneller, ein Magen rumort nicht. Dennoch weiß ich genau, was in der Hauptperson vorgeht, denn die Gedanken sind gut dargestellt. So wird mir bewusst, wie sich Schilo fühlt, welche Ängste und Sorgen sie hat – ohne das irgendetwas Gefühlsduseliges im Buch steht. Sind die gefühlmäßigen Körperreaktionen ein Beispiel für weibliche Schreibstile? Achten wir Autorinnen da mehr drauf als Autoren? Natürlich ist das sehr kategorisch und bis jetzt war von den letzten Büchern, die ich gelesen habe auch nur eins von neun von einem Autor, von daher ist die Annahme überhaupt nicht repräsentativ. Nichtsdestotrotz ist es mir aufgefallen und ich werde diese Frage in Zukunft im Hinterkopf behalten.


In Cleanland steht nicht die romantische Liebe im Fokus (haha, immer wenn ich das so lese muss ich nun an Stefanie Neeb und Partem denken), sondern die Freundschaft. Zwar gibt die Liebe der Hauptperson Schilo den Anstoß rebellischer zu werden, doch im Fokus steht die Rettungsaktion einer Freundin und ihres Bruders, die sich den Reinheitsgeboten von Cleanland widersetzen. Der Weltenbau ist sehr schön ausgearbeitet und mit fantasievollen Details perfektioniert, was ein riesiges Plus für das Buch ist. Jetzt spanne ich euch aber nicht länger auf die Folter, sondern erzähle euch, wie es in Cleanland aussieht und an welche Regeln sich die Menschen halten müssen.


WELTENBAU.

Cleanland ist eine Stadt inmitten der Sicklands, die wir als unsere normale Welt bezeichnen würden. Ich schätze, dass Cleanland eine Art Modellstadt ist, die nach einer verheerenden Pandemie eine andere Art des Lebens „ausprobieren“ soll. Das oberste Gebot ist die Gesundheit eines jeden Menschen. Um dies zu gewerkstelligen, tragen alle Protectoren, also Ganzkörper-Schutzanzüge. Wer in einen Club oder einen Park gehen möchte, muss sich zuvor einen Tanz- bzw. Sitzplatz reservieren. Wenn ich also nun an einer Parkbank vorbeigehe und sie leuchtet grün, weiß ich, sie ist frei und desinfiziert. Leuchtet sie rot, gehört sie gerade jemand anderen und ich sollte mich davon fernhalten. So hat im Club auch jeder seinen persönlichen Tanzbereich. Im Club gibt es natürlich auch nicht so etwas Ungesundes wie Alkohol, Zigaretten oder Zucker. Tatsächlich werden diese Produkte auf alten Bildern und Videos sogar ausgepixelt.


Das Leben ist geprägt von Homeschooling und Homeoffice, wobei die Erwachsenen dafür einen eigenen Raum oder Glaskasten in ihrer Wohnung besitzen. Nur für Prüfungen oder Arbeiten, die nicht zuhause erledigt werden können, müssen die Menschen das Haus verlassen. Lebensmittel werden geliefert und Sport kann notfalls auch auf dem Hometrainer erledigt werden.


Komme ich also zum Privatleben der Menschen. Alle können sich eine persönliche Kontaktperson registrieren. Das ist dann die einzige Person, mit welcher ich mich regelmäßig treffen darf. Möchte ich jemanden näher kennenlernen muss ich das über eine App beantragen und nach einigen Treffen bin ich gezwungen zu entscheiden, ob dieser jemand dann meine neue Kontaktperson wird. Tschüss, alte Freundschaft!


Das Buch spielt in einer Zukunft, in der die technischen Gegebenheiten weitaus entwickelter sind als heute. Die Menschen tragen Controller, die die Körperwerte wie z.B. Temperatur oder Herzfrequenz aufnehmen und speichern. Diese Daten sind auch für die Eltern oder die Kontaktperson einsehbar – genauso wie der aktuelle Standort einer Person. Mit diesem Controller lässt sich also recht viel über einen Menschen in Erfahrung bringen. Die Menschen nehmen jeden Abend sogenannte Nachtheiler, die den Schlafrhythmus steuern. Die Einnahme dieser Medikamente ist für alle Pflicht. Es ist nichts anderes als ein Schlafmittel, damit die Menschen genügend Schlaf bekommen, sie aber auch nicht mitbekommen, wie ihre Wohnungen nachts kontrolliert werden, denn die Reinigung der Umwelt ist ein weiteres sehr wichtiges Detail in der gesunden Welt.


Nachts tauchen die sogenannten Cleaner in den Wohnungen auf. Sie sind Menschen, die in der Gesellschaft sehr weit unten stehen. Sie verdienen sich mit der Arbeit etwas Geld dazu. Sie desinfizieren die Wohnungen, prüfen ob alle ihre Nachtheiler eingenommen haben und ob sonst irgendetwas Auffälliges geschehen ist. Was die Cleaner in den Wohnungen machen, übernehmen Drohnen im Freien. Jede Nacht regnet es Desinfektionsmittel, sodass wirklich alle Keime abgetötet werden. Ich frage mich, wie die Pflanzen das überleben …


Und dann gibt es in jeder Wohnung noch den sogenannten „Raum der Einsicht“. Das ist ein Glaskasten in der Küche, der komplett abgedichtet ist und nur von den Cleanern betreten werden kann. Dort kommen weder Keime rein noch raus. Die alten Menschen leben dort und können sich über ihre Controller mit der Außenwelt in Verbindung setzen. Diese Orte sind die sterilsten, die es in Cleanland gibt. Die Personen darin erhalten nur gereinigtes Wasser und Essen. Wenn es keine Großeltern mehr gibt, lässt sich der Raum auch prima für Erziehungsmaßnahmen nutzen, indem rebellische Kinder mal einfach eingesperrt werden können.


HAUPTPERSONEN.

In Cleanland geht es hauptsächlich um Schilo. Ihre Mutter arbeitet im Ministerium der Reinheit, daher haben sie ein sehr gutes Leben: Eine große Wohnung, gute Zukunftsaussichten, relativ große Freiheiten. Schilo lebt das komplexe Gesundheitssystem und sieht auch keinen Grund, sich dagegen aufzulehnen. Sie liebt ihre Oma, die glücklich und zufrieden im Raum der Einsicht lebt, hat jedoch ein eher distanziertes Verhältnis zu ihrer Mutter, die kaum Zeit für sie hat, weil sie den Großteil des Tages im Ministerium verbringt und manchmal erst nach Hause kommt, wenn Schilo bereits schläft.


Neben Schilo, ihrer Mutter und ihrer Großmutter gibt es noch drei weitere wichtige Personen: Samira, Schilos Kontaktperson, und deren überaus lebhaften Bruder Oskar, der sich mit Händen und Füßen gegen die Schutzmaßnahmen wert. Die letzte wichtige Person ist Toko, der neue Cleaner in Schilos Wohnung.


WIE WAR’S DENN JETZT?

Cleanland spielt in einer sehr kreativen und gut ausgearbeiteten Welt. Leider habe ich das Gefühl, abgesehen von der Hauptperson keinen anderen Charakter wirklich zu kennen. Die Geschichte war mir persönlich zu oberflächlich, etwas zu charakterlos. Es fühlte sich für mich beim Lesen an, als müsse schnell etwas produziert werden, dass der aktuellen Situation während der Corona-Pandemie entspricht. Wenn das einzige, was ich nach der Geschichte über Toko weiß ist, dass er Toko heißt, einen Gen-Defekt hat und sehr zielstrebig und selbstlos ist, dann ist mir das zu wenig. Wo kommt er her? Wo lebt er? Wie sieht es dort aus? Was ist mit seiner Familie? Wie wurden die Menschen bei der Erschaffung von Cleanwelt unterteilt?


Tatsächlich spiegelt sich die etwas lieblose Art auch im Cover wieder. Dafür kann Martin natürlich nichts, aber zunächst dachte ich, das Buch käme nicht von einem renommierten Verlag. Überrascht war ich dann schon, dass es von den Fischer Verlagen war. Vom Motiv finde ich das Cover überhaupt nicht schlecht – immerhin war es ansprechend genug, dass ich es vom Regal genommen habe. Was mich daran gestört hat, war die Rückseite, auf der der Text über die Buchrückenrille (verzeiht, wenn ich den korrekten Begriff nicht kenne) hinauslief, was wie ein Anfängerfehler wirkt. Selbstverständlich ist das nur meine persönliche Meinung, aber ich hoffe, die Grafiker achten das nächste Mal auf solch kleinen Details, immerhin sind die Fischer Verlage ja doch sehr bekannt für gute Bücher.


Hier meine Buch-Einschätzung

  • Genre: Science Fiction

  • Zielgruppe: weiblich und männlich, ab 14 Jahre

  • Einschätzung: 2 von 5 Sterne

  • Leseempfehlung: Wen es interessiert, wie es in einer Welt aussieht, in der Gesundheit das Wichtigste ist und in der Computer die Regeln der menschengemachten reinlichen Welt verteidigen, findet in diesem Buch eine sehr gut durchdachte Welt. Ansonsten geht mir persönlich die Geschichte nicht genug in die Tiefe.


INHALT DES BUCHES – ACHTUNG SPOILER!

Wer noch mehr über meine Meinung und Einblicke in „Cleanland“ wissen möchte, ist hier genau richtig. Ich werde jedoch das ein oder andere Detail ausplaudern, das mir während des Lesens der Geschichte in den Sinn gekommen ist.


Schilos Geschichte beginnt mit einem Abend im Club, an dem ihr Protector reißt. Augenblicklich wird sie und alle, die sich in ihrer Nähe befunden haben, in Quarantäne versetzt. Als Schilo heimkommt, entdeckt sie ihre Mutter bei ihrer Großmutter in der Küche. Die Mutter weint und als Schilo sie fragt, was los sei, antwortet diese nicht. Schilo weiß nicht viel über ihre Mutter und vermutet, dass sie im Ministerium nur einen Schreibtischjob hat und als sie ihre Großmutter fragt, weshalb ihre Mutter geweint hat, antwortet die alte Frau:


„Jeder Krieg hat bisher an einem Schreibtisch begonnen.“ (S. 30)


Diese These hat mich nachdenklich gestimmt und mich so manchen Krieg reflektieren und diskutieren lassen. Ein sehr interessantes Statement, für die Geschichte jedoch nicht besonders relevant. Es ist nicht wirklich rausgekommen, wogegen die Mutter eigentlich konkret kämpft oder was sie in diesem Moment traurig stimmt. Womöglich ein Kampf gegen die eingesetzten Computer, aber in diesem Fall muss an jenem Abend irgendetwas Schlimmes passiert sein – immerhin weint die erwachsene Frau, was sie laut Schilo für gewöhnlich nicht tut.


Der ehemalige Cleaner hat entschieden, Cleanland zu verlassen, weswegen ein neuer eingesetzt wird. Hier taucht sofort die Frage in meinem Kopf auf, inwiefern freiwillig entschieden werden kann, ob ich in Cleanland oder in den Sicklands lebe. Vielleicht können das nur Erwachsene, denn ansonsten wäre die Geschichte noch viel kürzer gewesen.


Nun ist also ein neuer Cleaner da. Er heißt Toko und Schilo wacht eines Tages aus einem Albtraum auf und verliebt sich sofort in ihn. Da Martin nicht so viele Gefühle mit reinbringt, war die genaue Aussage, dass Toko interessant aussehe. Dies genügt schon, dass Samira Schilo anstachelt, den Nachtheiler nicht einzunehmen und so stattdessen wachzubleiben und Kontakt zu Toko aufzunehmen. Da Toko als Cleaner nicht in der Kontaktapp gelistet ist, bleibt Schilo nichts anderes übrig, als nachts auf ihn zu warten, um mit ihm zu sprechen. Also kommen sich die beiden beim Putzen näher. Irgendwann gibt Toko ihr einen Störer, der das Signal ihres Controllers außer Gefecht setzen kann, und bringt sie zu einer illegalen Party hinter der Stadtmauer, wo es Alkohol gibt und sich die Leute nicht nur berühren, sondern auch küssen.


Plötzlich dreht Samiras Bruder durch, indem er sich vehement weigert, den Protector zu tragen. Das ganze schaukelt sich hoch, bis Oskar in den Raum der Einsicht gesperrt wird. Gleichzeitig eröffnet Schilos Oma ihr eines Abends, dass ihr Großvater noch lebt und sich in den Sicklands befindet. Die beiden Geschehnisse bringen Schilos Welt durcheinander. Sie versteht nicht, weshalb Oskar sich so über die gesundheitsbedingten Sicherheitsmaßnahmen aufregt und will irgendwie auch ihren Großvater kennenlernen. Als Samira, die sich vehement für ihren Bruder einsetzte, schließlich von der Polizei abgeholt und eingesperrt wird, ist für Schilo klar, dass sie die beiden retten muss. Als Toko dann äußert, dass Cleanland vermutlich einfach das falsche Land für Samira und ihren Bruder ist, weiß Schilo sofort, dass sie die beiden befreien und mit ihnen und Toko in die Sicklands fliehen muss, denn nur so können sie alle vier glücklich werden.


Toko fädelt die Flucht mit seinen Kontakten ein und kurz darauf steht ein Plan. Schilo befreit Samira, während sich Toko um Oskar kümmert. Auf dem Weg aus dem Gefängnis, werden Schilo und Samira von Schilos Mutter überrascht, die wohl die ganze Zeit die Aufseherin für die Gefangenen gewesen war. Anstatt sie zu verraten, winkt sie die beiden Mädchen weiter und sie können fliehen. Als sie schließlich auf Oskar und Toko treffen, gesteht Toko Schilo, dass er einen Gen-Defekt hat, der ihn anfällig für Krankheiten macht. Somit muss er in Cleanland bleiben, wenn er überleben will. Schilo ist zwar traurig, hat dafür aber Verständnis. Gemeinsam mit Samira und Oskar kommt Schilo in den Sicklands an und lernt ihren Großvater kennen.


Ich freue mich, dass Schilo sich dafür entschieden hat, die neue, risikoreichere Welt zu betreten, denn Cleanland ist eher ein Gefängnis als eine perfekte Stadt. Mich hätte Tokos Perspektive zu den Geschehnissen interessiert, denn für ihn ist Cleanland ein Überlebens-Garant. Nichtsdestotrotz bedanke ich mich bei dir, Martin, für diese kreative Geschichte – und vielleicht geht ja das nächste Buch ein bisschen mehr in die Tiefe 😉.

22 Ansichten0 Kommentare

Aktuelle Beiträge

Alle ansehen
Beitrag: Blog2_Post
bottom of page